Schmerzen verstehen...
- Knackpunkt Physio
- 23. Juni 2020
- 4 Min. Lesezeit
Heute geht es um ein Thema, mit dem fast jeder schon Bekanntschaft gemacht hat und das Vielen im wahrsten Sinn des Wortes auf der Seele brennt.

Es geht um Schmerzen, genauer gesagt um Schmerzen am Bewegungssystem, also Rücken-, Nacken-, Hüft-, Knie-, Schulterschmerzen und Co.
Obwohl die meisten schon unangenehme Bekanntschaft mit diesem Phänomen gemacht haben, wissen die wenigsten, wie Schmerzen entstehen und wo sie „gemacht“ werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch mit einem Mythos aufräumen, der sich hartnäckig hält und leider häufig verhindert, dass Schmerzbetroffene sich konstruktiv mit ihren Schmerzen auseinandersetzen. Ich meine Damit die strukturelle Orientierung der Medizin bei der Erklärung der Schmerzentstehung.
Das betrifft vor allem den Bereich der degenerativen Veränderungen am Bewegungsapparat. Nach dieser Theorie sind zum Beispiel Bandscheibenschäden für Rückenschmerzen, Arthrosen für Hüftschmerzen, Meniskusschäden für Knieschmerzen und Verschleiß von Sehnen für Schulterschmerzen verantwortlich.
Das dem in den meisten Fällen nicht so ist, lässt sich mit dem folgenden Erklärungsmodell besser verstehen und mit den Erfolgen bestimmter Behandlungsmethoden belegen.
Die Entstehung und Wahrnehmung von Schmerz ist ein komplexer Vorgang, bei dem periphere und zentrale Anteile des Nervensystems miteinander kooperieren. Den Hauptanteil übernehmen dabei spezifische Areale im Gehirn, die für die Verarbeitung von Reizen zuständig sind, die ihnen über periphere Nervenbahnen und das Rückenmark zugeleitet werden. Wie dieser Vorgang genau abläuft, wollen wir uns jetzt mal anschauen.
In der Haut, den Knochen, in den Faszien, den Muskeln, den Gelenken und vielen anderen Geweben befinden sich zahlreiche Rezeptoren (Fühler), die für die Aufnahme verschiedener Reize zuständig sind, die auf den Körper einwirken. Darunter befinden sich auch die sogenannten Nozizeptoren, die oft fälschlicherweise auch Schmerrezeptoren genannt werden.
Sie werden immer dann aktiviert, wenn ein Gewebe definitiv Schaden erleidet, zum Beispiel bei einer Verletzung, aber auch wenn ihm durch ungünstige Gegebenheiten Schaden droht, also bevor überhaupt etwas passiert ist. Das können zum Beispiel starke mechanische Belastungen wie hoher Druck durch das Heben schwerer Lasten sein. In unserer modernen Zeit sind das aber viel häufiger ungünstige Haltungs- und Verhaltensgewohnheiten.
Viele Menschen sitzen 12 oder mehr Stunden am Tag bei der Arbeit und zu Hause auf der Couch. Oft fehlt die notwendige Bewegung zum Ausgleich. Hinzu kommt bei Vielen die Nachtzeit, weil sie auch dann Sitzen, weil sie auf der Seite mit angezogenen Beinen schlafen. Diese Gewohnheiten führen dazu, dass die Muskeln im vorderen Körperbereich (z.B. die Hüftbeuger und die Brustmuskeln) sich in der angenäherten Position verhärten und versteifen.
Gleichzeitig verkümmern die muskulären Gegenspieler, die die Gelenke und die Wirbelsäule aus dieser Position rausziehen könnten, weil sie nicht mehr adäquat benutzt werden. Die Beweglichkeit wird geringer und es entsteht ein muskuläres Ungleichgewicht, das die Gelenke mechanisch immer mehr belastet. Das kann langfristig zu Schäden in den Gelenken selber und den umgebenden Strukturen führen.
Damit das nicht passiert, haben wir eigentlich ein Frühwarnsystem eingebaut, dass wir aber leider zu häufig ignorieren bzw. falsch interpretieren. Der drohende Schaden in den Gelenken, Muskeln oder Faszien wird nämlich von den Nozizeptoren registriert und gemeldet lange bevor wirklich was passiert. Sie senden über ihre Nervenbahnen Signale zum Rückenmark, um das Zentralnervensystem darüber zu informieren, was da in der Peripherie droht.
Dort werden die Impulse umgeschaltet und über aufsteigende Bahnen zum Gehirn geschickt. Sie kommen aber dort nur an, wenn sie stark genug sind. Schwache Reize werden auf Rückenmarksebene und beim Eintritt ins Gehirn weggehemmt und erzielen keine Wirkung.
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Ist das Signal stark genug gelangt es schließlich in den Thalamus, der auch als Tor zum Bewusstsein bezeichnet wird. Dort werden die Informationen mit vorherigen Erfahrungen, der Stimmungslage und anderen affektiven Gegebenheiten abgeglichen und verarbeitet.
Vereinfacht ausgedrückt befindet der Thalamus nach Abgleich aller Inputs, ob die einlaufenden Signale stark genug sind, um sie als Schmerz bewusst zu machen. Das bedeutet, dass die Wahrnehmung von Schmerz eine zentrale Angelegenheit ist und nicht in der Peripherie geschieht.
Dieses Konstrukt ist grundsätzlich so aufgebaut, dass der Körper möglichst vor Schaden bewahrt wird. Deshalb werden Schmerzsignale meistens schon lange vor dem Auftreten einer manifesten Schädigung ausgesendet.
Das können Rückenschmerzen sein, weil die Wirbelkörper oder die Facettengelenke durch die schlechte Haltung und verkürzte Muskeln auf der einen und hohe Spannung auf der anderen Seite unter ständigem Druck stehen. Hüft- und Knieschmerzen entstehen, weil die Gelenkflächen durch die muskuläre Dysbalance hohem Druck und Scherkräften ausgesetzt sind. Schmerzen im Schultergelenk entstehen häufig, weil der Oberarmkopf nicht mehr richtig gesteuert werden kann.
Ursache dafür ist häufig die Verkürzung der Brustmuskulatur und die dadurch hervorgerufene Fehlstellung der Brustwirbelsäule und des Schulterblattes. Die Folge ist, dass der Kopf beim Heben des Armes unter das Schulterdach gedrückt wird und die dort verlaufenden Sehnen oder den Schleimbeutel bedrängt.
In all diesen Fällen entsteht eine hohe mechanische Belastung, die anhaltend zu Schädigungen führen kann.
Damit das nicht passiert, gibt das Gehirn Alarm in Form von Schmerzen. Das ist eigentlich ein sehr sinnvolles Frühwarnsystem mit dem das Gehirn uns sagen möchte, dass wir etwas tun und ändern sollen, um eine Schädigung zu vermeiden. Leider verstehen die meisten Menschen dieses Alarmsignal nicht oder interpretieren es nicht als solches. Stattdessen wird die Warnung mit Medikamenten unterdrückt und ignoriert. Gleichzeitig werden Gelenke und Muskeln geschont, was im Endeffekt zu einer Verschlimmerung der Situation führt.
Wenn das nicht mehr hilft, bleibt schließlich nur noch der Gang zum Arzt. Dort wird dann der diagnostische Apparat mit Röntgen, CT, MRT und Sonografie in Gang gesetzt. Ziel ist es, möglichst Hinweise auf eine strukturelle Schädigung zu finden, die man dann mit Medikamenten, Injektionen, Arthroskopien und offenen Ops angehen kann, künstliche Gelenke inbegriffen. Eine Behandlung, die wirklich an den Ursachen ansetzt wird meistens nicht in Erwägung gezogen, nicht mal dann, wenn diagnostisch nichts Manifestes zu finden ist.
Das ist natürlich sehr schade, weil es Möglichkeiten gibt, auf die Alarmsignale so zu reagieren, dass Folgeschäden vermieden und schon bestehende Degenerationen rückgängig gemacht werden können.
Im Grunde genommen ist das Prinzip wie so etwas sinnvoll geschehen kann, sehr einfach. Dazu braucht man zum einen nur einen entsprechend ausgebildeten Therapeuten, der die Grundeinstellungen des Körpers und das Programm im Gehirn resettet. Zum anderen benötigt man den Willen und die Motivation, selbst etwas an der Beweglichkeit, der Haltung und dem Verhalten zu verändern.
Wie das bei verschiedenen Schmerzbildern aussieht, erfährst du in den nächsten Videos.
Ich hoffe, ich konnte dir die Zusammenhänge der Schmerzentstehung und -bewusstmachung etwas näher bringen. Vor allem hoffe ich, dass ich deine Neugier und deine Motivation geweckt habe, mehr darüber zu erfahren, welche Möglichkeiten es für dich gibt, deinen Schmerzzustand zu beseitigen.
Und ich kann dir versichern, dass es mit der richtigen Methode in über 90% der Fälle möglich ist, die nötige Motivation natürlich vorausgesetzt.
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